Solarenergie für Mehrfamilienhäuser und Gewerbe-Areale

Die Energiewende fand in der Vergangenheit oft auf dem Land statt. Um aber den Durchbruch hin zur Vollversorgung mit 100 % Erneuerbaren zu erreichen, brauchen wir die Städte. Doch hier war es in der Vergangenheit fast unmöglich, Mietshäuser mit selbst produziertem Strom vom Dach zu versorgen.
Wir haben Dr. Harald Will von Urbane Energie gefragt, wie die aktuelle Situation ist, welche Hürden noch genommen werden müssen und welches Potenzial der direkte Verbrauch von Solarstrom jetzt schon in Mehrfamilienhäusern bietet.
Harald, uns erreichen immer wieder Fragen unserer Leser, ob und wie Solarstrom auch in Mietshäusern für den Eigenverbrauch genutzt werden kann. Warum ist das im Vergleich zu Einfamilienhäusern so kompliziert?
Mieterstromkonzepte sind ja schon länger bekannt. Die bisher umgesetzten Pilotprojekte haben bewiesen: „Es geht“. Jetzt geht es um den nächsten Schritt: Wir wollen die Nische verlassen. Damit das gelingt, haben wir ein skalierbares Modell entwickelt, welches die Einmal-Aufwände reduziert, sowohl für die Einrichtung des Mieterstrom-Systems als auch den Aufwand und die Kosten für die einzelnen Projekte sowie die laufenden Kosten um das System am Laufen zu halten.
Ihr habt mit den Stadtwerken Schwäbisch Hall eine marktfähige Lösung gefunden. Wie sieht die aus?
Bei MieterStrom handelt es vereinfacht gesprochen darum, die lokale Strom-Produktion der Solaranlage und ggf. eines Blockheizkraftwerks zusammen mit der Reststrom-Belieferung über das Netz für den Mieter in einem Tarif abzubilden und korrekt abzurechnen. Auch wenn MieterStrom am Anfang einigen Aufwand in der Abwicklung macht, funktioniert das fertige Stromprodukt wenn es einmal aufgesetzt ist, wie ein Standard-Stromtarif und wird operativ genauso behandelt und abgerechnet.
Unser Mehrwert besteht darin, dass wir Energie-Dienstleistern, Stadtwerken, Energiegenossenschaft, aber auch Immobilienunternehmen bei dem gesamten Umsetzungsprozess begleiten sowie wichtige Teilprozesse stellvertretend für sie erbringen können. Wir treten i.d.R. allerdings nicht als MieterStrom-Anbieter auf, sondern beraten und unterstützen als Lösungsanbieter den Prozess. Unsere Auftraggeber definieren dabei mit uns, welche Teil-Prozesse sie und welche wir erbringen sollen.
Das heißt, es geht im ersten Schritt darum, die Voraussetzung zu schaffen damit die Dachflächen auf Mietshäusern für Photovoltaik genutzt werden können?
Genau. Unser Ziel ist es, Dachflächen für Photovoltaik zu aktivieren, die bisher nicht genutzt werden konnten. MieterStrom ist nach unserer praktischen Erfahrung das beste Werkzeug, den PV-Ausbau gerade in urbanen Zonen voran zu bringen. Photovoltaikanlagen auf Mehrfamilienhäusern oder Gewerbe-Arealen wurden in der Vergangenheit nur auf gepachteten Dächern errichtet. Mit einer EEG-Vergütung von 11 bis 12 Cent pro Kilowattstunde kommt man wegen der spezifisch höheren Dach-Projektkosten jedoch selbst bei geringer Pachtzahlung nur auf geringe, einstellige Rendite. Das reicht den meisten Investoren einfach nicht. Unser MieterStrom-Modell ermöglicht es hingegen, dass für einzelne oder zum Paket aggregierte Dachanlagen Renditen erzielt werden können, die für Investoren auskömmlich sind und Banken dazu bringt, Projekte überhaupt mitzufinanzieren.
Wie ist die aktuelle rechtliche und technische Situation?
Für lokal erzeugten Strom aus Photovoltaik- oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gilt: solange der Strom ohne Netznutzung an die Mieter verkauft wird, muss zusätzlich zu den Erzeugungskosten die volle EEG-Umlagen für 2016 von 6,35 ct. abgeführt werden. Da Solarstrom heutzutage auch in Anlagen kleiner 100 kWp für um die 10 Cent hergestellt werden kann, ist der vor Ort erzeugte und vermarktete Strom gegenüber konventionellem Graustrom aus dem Netz voll wettbewerbsfähig. Warum? Weil für den vor Ort erzeugten Strom keine netzbezogenen Entgelte, Konzessionsabgaben etc. bezahlt werden müssen.
Das Ziel von MieterStrom ist jedoch nicht, Umlagen und Abgaben zu vermeiden. Es ist auch nicht unsolidarisch Strom selbst zu produzieren. Im Gegenteil: Höhere Autarkie, mehr lokale Wertschöpfung und größere Versorgungssicherheit sind direktes Ergebnis der dezentralen Erzeugung. Die lokale Vermarktung ist für den Betreiber schlicht und einfach attraktiver als die Überschuss-Einspeisung ins Netz, um die EEG- oder KWK-Einspeisevergütung zu bekommen.
Wir verwirklichen die Idee der EEG-Pioniere: Wir nutzen ökonomische Anreize für die Errichtung verbrauchsortnaher regenerativer Energieanlagen.
Da die Mieter jedoch auch dann Strom benötigen, wenn die PV-Anlage keinen oder zu wenig Strom produziert, muss die lokale Erzeugung um zusätzlich benötigten Netzstrom ergänzt werden. Unser Job ist es, die kombinierte Belieferung und die damit verbundenen Kosten der Energie-Dienstleistung im Hintergrund möglichst kostengünstig zu erbringen. Die Mieter machen nämlich nur dann mit, wenn Sie wie bisher einen Zähler und einen Tarif haben und das Ganze einen Tick günstiger ist als „normaler“ Strom.
Wo liegen die größten Herausforderungen?
Aktuell sind 3 Sachen schwierig:
1. Ein Bewusstsein für die solaren Chancen zu schaffen.
2. Die Grundstimmung in den Köpfen der Leute in Bezug auf die Energiewende ins Positive zu drehen. Es ist ein sehr deutsches Phänomen, immer nur über die Probleme und Schwierigkeiten zu reden.
3. Für mich ist immer wieder interessant zu beobachten, wie ungern Stromverbraucher ihren Versorger wechseln, obwohl sie dabei mit 2 Mausklicks und einem Blick auf den Stromzähler auf einen Schlag 50 bis 200 Euro pro Jahr sparen könnten.
Was sind denn die Chancen?
MieterStrom ermöglicht erstens, dass ich auch als Mieter konkret die Energiewende gestalten kann. Es ist doch wesentlich realer, Module auf dem Dach oder eine KWK-Anlage im Keller zu haben, als Geld für ein virtuelles Ökostrom-Produkt auf einem Stück Papier. Zweitens: Mit Mieterstrom können Mieter sowohl ihre Autarkie steigern als auch konkret mit entscheiden, was in ihrer nächsten Umgebung passiert. Sie tragen z.B. ganz konkret dazu bei, dass eine Photovoltaikanlagen auf Ihrem Dach oder ein BHKW in ihrem Keller errichtet wird, die ansonsten nie gebaut würde.
In fünf Schritten zum Mieterstrom-Anbieter
1. Eigentümer überzeugen, eine Photovoltaikanlage mit 20-100 Kilowattpeak auf dem Dach bauen zu lassen
2. Klären, wer bei dem MieterStrom-Projekt welche Rolle hat:
a) Wer wird Eigentümer der PV-Anlage? b) Wer betreibt Sie? c) Wer wird MieterStrom-Anbieter? d) Wer erbringt die Messdienstleistung? e) Wer erbringt den Abrechnungs- und den Kunden-Service?3. MieterStrom-Angebot bei Mietern bzw. Mit-Eigentümern der geplanten Solardächer ankündigen und bewerben.
4. PV Anlage einschließlich eines MieterStrom Messkonzepts errichten, damit der vor Ort erzeugte Strom richtig abgerechnet werden kann.
5. Der Anlage betreiben, den erzeugten Solar- plus Netzstrom an die Mieter liefern und alle Verbrauchs- und Erzeugungsmengen korrekt abrechnen.
Zu den genannten Punkten sind Prozesse und alle Aufgaben der beteiligten Unternehmen genau zu definieren. Nur wenn alles gut ineinandergreift kann man ein Mieterstrom-Produkt mit attraktivem Tarif als Komplett Lösung anbieten.
Dr. Harald Will hat den Dienstleister Urbane Energie im Frühjahr 2015 gegründet. Bis 2015 war er Gründungsgeschäftsführer der Solarinitiative München, davor hat er für die Business Development & Projektentwicklung Green City Energy AG München gearbeitet.
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